Respekt vor dem Darm

Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie Ihr Steak (oder Käse) vom Mund in die Blutbahn gelangt? Nein? Dann wird es Zeit, denn sonst können Sie auch nicht verstehen, welch ein Drama sich in Ihrem Körper abspielt, wenn das nicht ordnungsgemäß verdaut wird und sich Milliarden oder gar Billionen von Fäulniskeimen darauf stürzen und Ihnen dadurch das Leben schwer machen. Ein schmerzhafter Blähbauch ist dann noch das harmloseste. Bestehen die Verdauungsprobleme länger, folgen nicht selten Entzündungen und Nahrungsmittel-Allergien bzw. –Intoleranzen.

Zurück zum Steak, das durch die Darmschleimhaut soll. Wie soll das gehen, denn selbst nach gründlichem Kauen sind die Eiweißbestandteile immer noch viel zu groß? Glücklicherweise sorgen der Magen mit seiner Magensäure und die Enzyme – kleine chemische Scheren – des Magens und vor allem der Bauchspeicheldrüse für eine gründliche Zerkleinerung. Immer natürlich vorausgesetzt, diese Organe sind gesund, dann werden die Eiweiße bis zu den kleinsten Bausteinen, den Aminosäuren abgebaut. Diese Demontage ist notwendig, denn nur die kleinen Aminosäuren läßt unsere gesunde Darmschleimhaut durch. Um sich die Größenverhältnisse einmal klar zu machen, stellen sich das Steak als einen großen Dom vor. Die Aminosäuren wären dann wie die einzelnen Backsteine dieser Kirche.

An der Darmschleimhaut geschieht jede Minute unseres Lebens etwas Unvorstellbares. Jedes kleinste Nahrungspartikel wird auf Brauchbarkeit und Verträglichkeit geprüft und erst dann durchgelassen. Jedes daran haftende Bakterium aber wird abgewehrt. Welche immense Leistung der Schleimhaut, wenn Sie bedenken, welche Nahrungsmengen wir täglich herunterschlucken. Diese Mengen in akzeptabler Zeit zu bewältigen ist nur möglich, weil der ca. 5m lange Dünn- und der 1,5m lange Dickdarm nicht einfach nur glatte „Röhren“ sind. Wären sie das, dann hätte unser Darm bestenfalls 2qm Oberfläche zu bieten und wir müssten zwangsläufig verhungern.

Glücklicherweise weist der menschliche Darm im Erwachsenenalter eine Oberfläche von mehr als 400qm (!) auf. Mehr als die Fläche eines Tennisplatzes in unserem Bauch, wie ist das nun wieder möglich? Durch das Prinzip der Oberflächenvergrößerung! Die Darmschleimhaut liegt in Falten und darauf sitzend Zotten, die wiederum Mikrozotten tragen. Mikroskopisch sieht die Darmoberfläche aus wie ein riesiges Korallenriff. So wie sich in dem kleine Fische verstecken leben zwischen und auf den Darmzotten Billionen von Darmbakterien – gute wie krankmachende!

Ja, Sie haben richtig gelesen, wir beherbergen 500-800 Billionen Bakterien in unserem Darm (macht ca. 1-2 kg Körpergewicht aus!), die mit ca. 1000 Arten mit an unserem Tisch sitzen und teilweise unfreiwillig von uns durchgefüttert werden. Würde es nur beim Durchfüttern bleiben, würde sich vielleicht so mancher Übergewichtige darüber freuen können. Aber leider produzieren Gär- und Fäulniskeime Unmengen uns belastende Stoffwechselprodukte, die wir zum Teil mit der Nahrung aufnehmen und mühsam über Leber und Nieren entsorgen bzw. entgiften müssen.
Mikrobiom ist eben nicht Mikrobiom. Während die Gruppe der gewünschten Darmbakterien unsere Schleimhaut schützend besiedeln und uns bei der Verdaubarkeit der Rohfasern aus Obst und Gemüse helfen, landet das anfänglich erwähnte Steak hier bei den Fäulniskeimen, wenn es nicht vorher von uns ordnungsgemäß verdaut wurde.

In einem gesunden Darm haben Fäulniskeime kaum Entwicklungschancen, da gut vorverdaute Nahrungsbestandteile schnell und vollständig von der Schleimhaut aufgenommen und über die Blut- und Lymphbahnen abtransportiert werden. Nur was geschieht mit den Milliarden von Bakterien, die wir mit der Nahrung heruntergeschluckt haben? Wie um alles in der Welt kann unser Körper auf einer so riesigen Darmoberfläche gegen diese Flut von Erregern wehren? Dabei ist eines schon einmal klar, unsere weißen Blutkörperchen schaffen das nicht allein. Sie sind hinter der obersten Schleimhautschicht postiert und sollen abfangen, was bereits die ersten Zellschichten überwunden hat. Die eigentliche Immunabwehr muß aber natürlich auf und vor der Schleimhaut stattfinden. Und dafür hält die Natur eine raffinierte Strategie bereit.

Unsere Schleimhaut ist mit einer Schleimschicht (daher der Name Schleimhaut) überzogen, angereichert mit einem Arsenal von körpereigenen Antibiotika (sog. ß-Defensine) und Antikörpern (sog. sekretorisches IgA), gebildet von den weißen Blutkörperchen. Und wenn wir gesund sind und über ein gesundes Mikrobiom verfügen, dann siedeln in und auf diesem Schleim Unmengen gewünschter Darmbakterien und bilden so eine Art Schutzschicht. In einer friedlichen Koexistenz leben wir mit Ihnen, geben ihnen Futter und greifen sie mit unserem Immunsystem nicht an. Dafür bieten sie uns Schutz, denn wo ein gewünschtes Bakterium lebt, kann kein krankmachendes existieren. Außerdem müssen uns bedrohende Keime erst an unserer gewünschten Darmflora vorbei, und die wehrt sich im Sinne der eigenen Arterhaltung natürlich vehement. So können wir uns sozusagen hinter diesem Mikrobiom-Schutzschild verstecken und bleiben gesund.

Eine gesundes Mikrobiom bietet uns noch manch anderen Vorteil. Sie aktiviert unser Immunsystem, das sich zu ca. 80% im Darm befindet. Der Kontakt mit der Schleimhaut zwingt zu unablässiger Antikörperbildung, denn auch die für uns nützlichen Bakterien sind nur solange für uns von Vorteil, als sie nicht die Schleimhautbarriere überwinden! Gelingt ihnen das, dann können sie uns ebenso schädigen, wie die von sich aus schon krankmachenden Keime. Auch wenn die Joghurtwerbung den Eindruck erweckt, als gehörten die Keime einer gesunden Darmflora in den Streichelzoo, Bakterien können uns unter bestimmten Bedingungen immer krank machen!

Einen weiteren Gewinn, den wir aus einem intakten Mikrobiom ziehen, ist die optimale Verdauung der Rohfasern bzw. Ballaststoffe aus Obst und Gemüse. Wußten Sie, daß wir Menschen ohne Darmbakterien diese Nahrungsmittel überhaupt nicht verdauen könnten? Ohne einen ausreichenden Bestand an Bifidobakterien und Laktobazillen wären wir völlig aufgeworfen. Das ist der Grund, warum eine abrupte Kostumstellung in Richtung ballaststoffreiche Ernährung oft zu erheblichen Bauchproblemen wie Blähbauch, Durchfall oder Krämpfen führen kann.
Eine gesundes Mikrobiom sorgt auch für einen geregelten Stuhlgang. Insbesondere Bifidobakterien ernähren mit den von ihnen gebildeten Fettsäuren unsere Dickdarmschleimhaut und halten unsere Darmaktivität auf Trapp.

Nicht zuletzt sollte erwähnt werden, daß die Bakterien eines intakten Mikrobioms uns mit den wichtigen Vitaminen K, Niacin und Folsäure versorgen.

Bedenkt man all dieses, dann muß jedem klar werden, dass ein gestörtes Mikrobiom und das dadurch irritierte Mikroökologische System des Darmes unweigerlich krank machen müssen.

Es lohnt sich also pfleglich mit dem Darm umzugehen. Vermeiden Sie voreilige Antibiotikaeinnahmen. Durchschnittlich sind von zehn Infekten neun durch Viren ausgelöst, gegen die bekanntlich Antibiotika völlig wirkungslos sind. Und quälen Sie Ihren Darm nicht mit schlecht gekauter, zu spät gegessener oder schwerverdaulicher Kost. „Iß morgens wie ein Kaiser, mittags wie ein König und abends wie ein Bettelmann“, so sagt ganz zu Recht der Volksmund.

Und wenn wir schon bei althergebrachten Weißheiten sind. Die vielleicht bekannteste den Darm betreffende lautet nicht zu Unrecht: „Der Tod steckt im Darm“. Da mögen Sie einwenden, dass diese Weißheit aus der Zeit von Typhus und Cholera stammen mag und zumindest im zivilisierten Mitteleuropa keine Bedeutung mehr hat. Das ist wohl richtig. Dafür haben wir heutzutage allein durch die allzu großzügige Antibiotikanwendung über 2000 Tote pro Jahr, die an der antibiotikabedingten Dickdarmentzündung versterben.

Glücklicherweise steckt heute nicht mehr so häufig der Tod im Darm, aber ganz sicher so mancher Auslöser schwerer Erkrankungen anderer Organsysteme.

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