Störfaktoren des Mikrobioms
Wollte ich alle Faktoren aufführen und beschreiben, die das Mikrobiom stören oder zerstören, würde ich den Rahmen dieser Website absolut sprengen. Darum werde ich mich darauf konzentrieren die beiden größten Themen Medikamente und Kostfehler ausführlich zu erörtern.
Es soll ja immer noch Personen geben, die keine Medikamente einnehmen bzw. einnehmen müssen, weil sie einfach gesund sind. Darum komme ich zunächst zum Störfaktor Ernährung, denn Kostfehler machen im Zweifelsfall auch Gesunde und damit geht dieses Thema uns alle an.
1. Störfaktor Kostfehler
Zu diesem Thema sage auch meinen Patienten gegenüber ich immer gern: „Jeder hat das Mikrobiom, das er verdient“. Das mag ein wenig gemein klingen, entspricht aber der Wahrheit. Denn die Zusammensetzung unserer Darmbakterien hängt direkt von unserer Kost ab. Kennen wir als einziges Gemüse nur das Salatblatt auf dem Burger, dann brauchen wir uns nicht wundern, wenn wir von den gewünschten Bakterien zu wenig haben, die von den Ballaststoffen aus Obst und Gemüse leben. Solange wir diese Kost beibehalten, kommt das Mikrobiom schon irgendwie zurecht. Aber wehe dem, wenn wir die Kost ändern. Wenn wir entscheiden ab sofort „gesund“ essen zu wollen, morgens mit Müsli, mittags Gemüse oder gar Salat und abends grobes Vollkornbrot. Dann wird mit sehr großer Wahrscheinlichkeit innerhalb weniger Tage eine gewaltige Pallastrevolution im Darm losbrechen. Gärgase treiben den Bauch mächtig auf, große Mengen Winde drängen zum Ausgang, Bauchkrämpfe und vielleicht durchfälliger Stuhl quälen zunehmend einen völlig verwunderten Menschen, der nicht weiß wie ihm geschieht. Denn immerhin ißt er ja nun „gesund“.
Hier finden Sie ein sehr lehrreiches Beispiel für das im Kapitel Ernährung erwähnte Thema „die gesunde Ernährung gibt es nicht“.
Natürlich klingt die in dem obigen Beispiel aufgeführte Koständerung viel gesünder. Wenn aber für die vielen Ballaststoffe nicht genügend ballaststoffspaltende Bakterien zur Verfügung stehen (bei dem Salatblatt im Burger entwickeln sich nun einmal nur wenige), dann fallen die wunderbar gesunden Vollkorngetreide und Gemüse der Gärung anheim und ein quälender Blähbauch übernimmt das Regiment.
So viel zum Thema zu wenig oder zu viel Ballaststoffe aus Obst, Gemüse und Vollkorn.
Ein weiterer Störfaktor ist das Überangebot an Stärke. Grundsätzlich ist natürlich Stärke z.B. in Kartoffeln, Reis, Nudeln und Gebäck ein wertvoller Baustein unserer heutigen Ernährung. Wohlgemerkt unserer heutigen Ernährung, denn noch bis in die Jungsteinzeit vor ca. 4000 Jahren waren wir Jäger und Sammler und haben folglich kein Getreide angebaut. Nun hatten wir einige tausend Jahre Zeit uns an das neue Nahrungsmittel Getreide anzupassen, solange sich das Angebot in Grenzen hielt. Das Problem begann erst vor ca. hundert Jahren und steigerte sich mit der Züchtung des Hochzuchtweizen in den letzten Jahrzehnten, als aufgrund des großen Angebotes Getreide zum Grundnahrungsmittel wurde. In der zivilisierten westlichen Welt standen nun stärkehaltige Nahrungsmittel preiswert und fast unbegrenzt zur Verfügung – und werden heute zu jeder Mahlzeit verzehrt. An dieses überhöhte Stärkeangebot als Grundnahrungsmittel konnten wir uns in der kurzen Zeit nicht adaptieren. Da leben wir doch eher noch in der Jungsteinzeit. Denn für ein so großes Stärkeangebot haben wir einfach nicht genügend stärkespaltendes Enzym Amylase. Bevor Sie sich nun fragen, woher man von der fehlenden Anpassung an das tägliche Stärkeangebot weiß, hier eine einfache und plausible Antwort. Aus unendlich vielen Stuhluntersuchungen ist bekannt, daß wir täglich mit dem Stuhl ca. 10-20g unverdaute Stärke unverdaut und somit ungenutzt wieder ausscheiden – sofern wir keine kohlenhydratarme Kost pflegen.
Nun könnte man meinen, daß das Ausscheiden von Stärke außer dem Kalorienverlust keine schlimme Sache sei und uns bestimmt nicht krank macht. Aber das ist leider ein weitverbreiteter Irrtum. Bei dieser Argumentation macht man die Rechnung ohne unser Mikrobiom, in dem u.U. vermehrt kohlenhydratvergärende Hefen und Bakterien leben, die nur darauf warten, mit der überschüssigen Stärke gefüttert zu werden. Sie wissen, was mit dem Kuchen- oder Brotteig geschieht, wenn die darin enthaltene Hefe aufgeht. Genau das läuft bei unendlich vielen Menschen täglich ab, wenn sie über den lästigen Blähbauch klagen. Das Überangebot von Stärke in unser täglichen Kost läßt unser Mikrobiom in Richtung Gärung kippen. Besteht dieser Zustand über längere Zeit, werden die gewünschten Kulturen in ihrer Entwicklung gehemmt und machen Platz für weitere Fehlbesiedlung, die irgendwann chronisch wird. Unter dieser Konstellation leiden sehr viele Menschen in Mitteleuropa. Wobei der Blähbauch auf lange Sicht noch das geringere Übel ist. Die bakterielle Zersetzung von Stärke erfolgt in Form der alkoholischen Gärung, wobei diverse z.T auch toxische Alkohole (u.a. Fuselakohole) entstehen, die im Organismus neben einer gehörigen Leberbelastung („seltsam, seit einiger Zeit vertrage ich keinen Alkohol mehr“) Schlappheit, Müdigkeit und Erschöpfung zur Folge haben können. Wie Sie sich sicher schon dachten, handelt es hier wie an anderer Stelle beschrieben um die sog. enterale Autointoxikation. Und das alles, weil wir u.U. täglich zu viele Kohlenhydrate essen!
An dieser Stelle kommt gewiß die Frage, ob die oft genug in der Medizin kritisch betrachteten Fette und Eiweiße nicht auch das Mikrobiom stören. Die Antwort fällt überraschend kurz aus: nein, sie stören i.d.R. nicht! Die Begründung für diese Antwort haben Sie als aufmerksamer Leser einige Zeiten zuvor sicher schon gelesen. Wir waren bis in die Jungsteinzeit Jäger und Sammler. Darauf sind wir genetisch programmiert, dafür haben wir im Magen und im Dünndarm entsprechende Enzyme, die auch einmal größere Mengen verdauen können. Und das mußte auch damals so sein, wenn wir hungrig endlich ein Tier erlegt hatten, dann haben wir gegessen, bis es uns zu den Ohren wieder rauskam. Man wußte nicht, wie lange das Essen vorhalten mußte. Denn geregelte Mahlzeiten um 8, 12 und 18 Uhr gab es nicht. Übrigens sind wir darauf noch immer nicht programmiert, so wie auf vieles andere nicht. Dazu lesen Sie mehr im Kapitel Ernährung.
2. Störfaktor Medikamente
Kommen wir nun zu einem komplexen und schwierigen Thema, denn Medikamente sollen eigentlich uns helfen eine Krankheit zu überwinden und nicht neue entstehen zu lassen. Leider ist das aber oft so, wobei ich hier nicht auf die bekannten im jeweiligen Beipackzettel aufgeführten Nebenwirkungen abheben möchte. Mir geht es hier um die zunächst meist unbemerkt ablaufenden Störungen des Mikrobioms mit weitreichenden Folgen für den gesamten Organismus. Auch hier würde es den Rahmen dieser Website sprengen die unendlich vielen Medikamente aufzulisten, die den Darm nerven können. Ich möchte mich auf zwei Wirkstoffgruppen konzentrieren, die mit Abstand den größten Schaden im Mikrobiom anrichten können – – die Säureblocker der Gruppe PPI und die Antibiotika.
a. Antibiotika
Auf vielen meiner Seminare für Ärzte fällt mir beim Thema Antibiotika und Mikrobiom immer wieder das große Wissensdefizit auf. Fragen besorgter Patienten nach den Schäden der Darmflora bei Antibiotika-Anwendung werden zumeist mit dem Satz abgetan: „Keine Sorge, die Bakterien erholen sich wieder“. Diese Antwort ist so generell nicht falsch, denn die Bakterien werden sich erholen, aber leider die falschen! Und das, möchte ich Ihnen erklären, denn das ist der entscheidende Punkt. Es ist natürlich völlig klar, daß Antibiotika Bakterien killen. Das ist schließlich ihre Aufgabe, die sie überall erfüllen, wo sie hinkommen – so auch im Darm. Das hat zwei sehr unterschiedliche Auswirkungen. Einerseits werden erwartungsgemäß einige gewünschte Kulturen auf der Strecke bleiben. Das ist nicht schön, aber bei weitem nicht das Schlimmste. Wesentlich schwerwiegender und mit gravierenden ganzkörperlichen Folgen ist andererseits unter der Therapie das Aufblühen von krankmachenden Bakterien, die das Antibiotikum nicht trifft. Sie müssen wissen, daß alle Antibiotika ein bestimmtes spezifisches Wirkspektrum haben, also bei weitem nicht alle Bakterien treffen – Gott sei Dank nicht! In unserem Mikrobiom leben immer auch eine ganz kleine Zahl potentiell krankmachender Bakterien, die unter dem Antibiotikum plötzlich die große Chance haben sich zu vermehren, weil das Antibiotikum sie in Ruhe läßt und Platz schafft.
Darum lassen Sie mich das deutlich formulieren: Antibiotika sind der Supergau für das Mikrobiom.
Andererseits war die Erfindung des Penicillins eine der größten Errungenschaften in der Medizin und bis heute retten Antibiotika unendlich vielen Menschen das Leben.
Wie bekommt man nun die Kuh vom Eis? Indem man mit einem zeitlichen Abstand von ca. 3 Stunden zum Antibiotikum ein Probiotikum (gewünschte Darmbakterien aus mindestens 10 Arten) einnimmt und den antibiotischen Flurschaden damit eindämmt. Haben Sie keine Bedenken, daß die probiotischen Keime vom Antibiotikum gleich gekillt werden. Bei einem zeitlichen Abstand, das Antibiotikum wird schnell im Dünndarm resorbiert, kommt das Probiotikum ungeschoren davon.
Bei jährlich ca. 50 Millionen Antibiotika-Verordnungen in Deutschland muß die Frage erlaubt sein, ob die vielen Verordnungen wirklich gerechtfertigt sind. Bedenkt man, daß 9 von 10 Atemwegsinfekten viralen Ursprungs sind, bei denen bekanntlich Antibiotika ohnehin nicht wirken, dann….??? Sie wissen schon, was ich unausgesprochen lasse.
Es gibt einen sehr probaten Weg herauszufinden, ob man unter einer bakteriellen oder viralen Infektion der oberen Atemwege (Infekte der Harnwege sind immer bakteriell) leidet. Ein Schleimhautabstrich bzw. eine Sputumprobe zeigt innerhalb von zwei Tage, woran Sie erkrankt sind. Wenn man dann gleich ein sog. Antibiogramm mit im Labor anfordert, erfährt man im Fall der bakteriellen Infektion auch gleich, welches Antibiotikum helfen kann. Und hier kommt wieder die Rücksicht auf das Mikrobiom ins Spiel, denn wir wissen recht gut, welche Antibiotika eher geringe und welche besonders heftige Flurschäden auslösen. Das Antibiogramm bietet meist eine Auswahl von gegen den jeweiligen Krankheitserreger wirksamen Antibiotika an. So kann man dann das schonendste auswählen.
b. Magensäureblocker (PPI)
Neben den heftigen Auswirkungen der Antibiotika liegen mir besonders die Magensäureblocker im Magen. Aber auch hier möchte ich betonen, daß nicht die Anwendung generell zu verteufeln ist, sondern die unachtsame und prophylaktische Verordnung. Es steht außer Frage, daß für Patienten mit Gastritis, Magengeschwür oder Refluxkrankheit diese Präparate ein wahrer Segen sind.
Beginnen wir aber zunächst mit einer Begriffsbestimmung. Neben den sog. Antazida, die lediglich die im Magen reizende und überschüssige Magensäure kurzzeitig neutralisieren, sind hier die deutlich intensiver und tiefgreifender wirkenden sog. Protonenpumpen-Inhibitoren (PPI`s) gemeint. Deren Wirkung besteht darin schon die Bildung der Magensäure in der Magenschleimhaut zu blockieren – ein ganztägiger massiver Eingriff in die Verdauungsprozesse des Magens.
Um die Nachteile der PPI´s zu verstehen, möchte ich Ihnen zunächst beschreiben, welche Verdauungsprozesse in einem gesunden Magen ablaufen. Etwas vereinfacht dargestellt wird bei einer vorzugsweise eiweißhaltigen Kost im Magen u.a. das Verdauungsenzym Pepsin und die das pepsinaktivierende Magensäure ausgeschüttet. Auf diesem Weg werden die Eiweiße chemisch zerkleinert, damit der Dünndarm mit den Verdauungsenzymen der Bauchspeicheldrüse die Zerkleinerung vollenden kann. Wichtig ist zu wissen, daß nur eine gute Vorverdauung im Magen eine erfolgreiche Nährstoffspaltung im Darm ermöglicht.
So, nun können Sie ohne viel nachzudenken auch ohne meine Erklärung ermessen, was wohl im Darm und damit im Mikrobiom geschieht, wenn wir die Magensäurebildung unterbinden!?
Richtig, das Enzym Pepsin wird nicht aktiviert, insbesondere die Eiweiße gelangen mehr oder weniger unverdaut in den für diese Situation überforderten Dünndarm. Ein Teil der schlecht verdauten Eiweiße gelangt dahin, wo sie beim Gesunden nie hingelangen, in den Dickdarm. Da bekanntlich nur der Dünndarm verdauen kann, findet im Dickdarm keine Verarbeitung der Eiweiße mehr statt – und werden den stets in kleiner Zahl vorkommenden Fäulniskeime auf dem Tablett präsentiert. Die gewünschten Kulturen haben von diesem gedeckten Tisch keinen Vorteil, da sie bekanntlich nur von Ballaststoffen und Stärke leben. Und damit kippt das Mikrobiom in Richtung Fäulnis. Da dieser Prozeß langsam verläuft, sind Anwendungszeiten von 2 bis höchstens 4 Wochen noch relativ unproblematisch, während Langzeitanwendungen zwangsläufig in eine schwere Dysbiose führen.
Um es noch einmal kurz zu fassen: Man kann dem Magen nicht unbeschadet einfach die Magensäure wegnehmen!