Es ist unglaublich, wie weitreichend meine 2014 kühn und fast visionär von mir formulierte Aussage „Darm krank – alles krank“ sich immer wieder in neuen Forschungsergebnissen in allen medizinischen Fachbereichen bewahrheitet. Damals haben beispielsweise Neurologische Fachgesellschaften jegliche Beteiligung des Mikrobioms an Erkrankungen wie Multiple Sklerose negiert. Heute wird auf Fachkongressen nicht mehr gefragt ob, sondern nur noch in welchem Maße das Mikrobiom die Entwicklung der MS als Entzündung im Gehirn befeuert!

Und für dieses Umdenken in vielen medizinischen Bereichen sorgen wissenschaftliche Beweise. Bestimmte Darmbakterien haben einen Einfluß darauf, ob in unserem Organismus Entzündungen entstehen oder verhindert werden. Das klingt im ersten Moment unglaubwürdig, da bekanntlich die Darmbakterien unsere gut geschützte Schleimhaut nicht überwinden können, also bestenfalls Entzündungen an der Darmwand auslösen könnten. Wie also können Darmbakterien Entzündungen in unserem Organismus auslösen oder verhindern, wenn sie den Darm gar nicht verlassen?
Als geschulter Newsletterleser sollten Sie wissen, daß nicht die Bakterien selbst sondern deren Stoffwechselprodukte Einfluß auf unseren Organismus nehmen – im Guten wie im Bösen. Schon länger kennen wir die sog. „enterale Autointoxikation“ (aus dem Darm stammende Selbstvergiftung) durch bakterielle toxische Substanzen wie Benzoesäure oder Cresol.

Nun verdichten sich die Erkenntnisse, daß die bakterielle Spaltung von Ballaststoffen aus Obst und insbesondere aus Gemüse an der Bildung oder Verhinderung von Entzündungen beteiligt ist. Immerhin wissen wir schon lange, daß nicht wir Menschen selbst, sondern ausschließlich unsere Darmbakterien die Ballaststoffe spalten können und diese in sog. kurzkettige Fettsäuren zerlegen. Dabei handelt es sich vor allem um Propion-, Essig- und Buttersäure, die wir für die Energiegewinnung und zur Ernährung der Dickdarmschleimhaut dringend benötigen. Nur was hat das mit Entzündungen zu tun?
Die Erklärung fand man u.a. in der Ursachenforschung der entzündlichen Erkrankung MS. Man fand bei diesen Patienten ein deutlich gestörtes Darmmikrobiom, das sich grundlegend von dem gesunder Menschen unterscheidet. Dabei fiel besonders auf, daß ballaststoffspaltende und somit kurzkettige Fettsäuren bildende Bakterien fehlten. Und das hat Auswirkungen auf das Immunsystem. Insbesondere die Propionsäure hat einen Einfluß auf die Reifung von sog. T-Lymphozyten (spezielle weiße Blutkörperchen), die sich in zwei Richtungen entwickeln können. Sind ausreichend kurzkettige Fettsäuren vorhanden, fördert das sog. entzündungshemmende regulatorischen T-Lymphozyten.
Fatal ist aber, daß ein Mangel an kurzkettigen Fettsäuren bei zu geringem Ballaststoffangebot oder mangelhafter Spaltung der Ballaststoffe entzündungsfördernde T-Lymphozyten aktiviert. Das hat beispielhaft in der neurologischen Behandlung der Entzündungen bei MS dazu geführt, daß die Standardtherapie ergänzt durch Zufuhr von Propionsäure deutliche bessere Therapieerfolge zeigte.

Diese Erkenntnisse aus der Neurologie lassen sich natürlich auf alle Gebiete der Medizin in der Behandlung von Entzündungen übertragen. Insbesondere Rheuma, rheumatoide Arthritis, Adipositas, Diabetes und alle Autoimmunerkrankungen generell werden in erheblichen Maße vom Mikrobiom beeinflußt oder sogar ausgelöst.

Im Fachlabor lassen sich sowohl die ballaststoffspaltenden Bakterien im Stuhl als auch die kurzkettigen Fettsäuren im Urin leicht nachweisen. Gegebenenfalls wäre die Immunantwort im Blut über einen sog. Immunstatus nachweisbar.

Mein Rat:

Es ist eigentlich überflüssig den Wert von Gemüse in unserem Speiseplan überhaupt noch zu erwähnen. Aber bisher erklärte sich der Wert aus den Inhaltstoffen wie Vitaminen und Mineralien in den Gemüsen. Nun lernen wir, daß unter günstigen Bedingungen unsere Darmbakterien aus den für uns unverdaubaren Ballaststoffen kurzkettige Fettsäuren entstehen lassen, die uns u.a. vor Entzündungen bewahren. Mit diesem Wissen sollten wir die Gemüse noch mehr wertschätzen und entsprechend häufiger genießen.

Noch ein Hinweis:

Sollten Sie auf größere Mangen Gemüse oder auf Rohkost mit Blähungen und Bauchschmerzen reagieren, dann handelt es sich hier um keine Unverträglichkeit sondern meist um einen Mangel an ballaststoffspaltenden gewünschten Bakterien!