Mein Leserbrief an die Redaktion:

Ihr Artikel im Hamburger Abendblatt vom 11.4.2022 mit dem verheißungsvollen Titel „Darm gesund – alles gesund, die neue Rolle der Darmflora“ bietet einerseits wertvolle Informationen, die den Lesern die ungeheure Bedeutung des Mikrobioms für unsere Gesundheit verdeutlicht und den Zusammenhang zwischen gestörtem Mikrobiom und diversen Erkrankungen herstellt. So einen Artikel hätte ich mir nur schon vor über 30 Jahren gewünscht, wo wir ganzheitsmedizinisch ausgerichteten Ärzte all diese Zusammenhänge längst erkannten, konsequent und erfolgreich therapierten – allerdings von der Schulmedizin bis vor wenigen Jahren mißachtet, z.T. verlacht.

So viel zum Thema „die neue Rolle der Darmflora“!

Was ich jedoch an dem Artikel scharf kritisieren muß, das ist die Formulierung: “Wer sich eine Kot-Transplantation ersparen will, kann laut Ernährungs-Doc Matthias Riedl viel für sein gesundes Mikrobiom tun“.
Dieser Satz muß zwangsläufig bei dem Leser zu der mißverständlichen Sorge führen: wenn ich mein Mikrobiom nicht pflege, droht mir die Stuhltransplantation (medizinisch korrekt: fäkaler Mikrobiomtransfer). Und das ist nun wirklich Unsinn!
Wir verfügen seit Jahrzehnten über sehr bewährte und sehr erfolgreiche Methoden der Mikroökologischen Therapie basierend auf validen Mikrobiomanalysen aus Fachlaboren. Unter Beachtung bestimmter Ernährungsrichtlinien kann hiermit den meisten (selbst an Colitis erkrankten) Patienten hervorragend geholfen werden.
Wie in dem Artikel richtig erwähnt, sind Pro- und Präbiotika in den Händen erfahrener Therapeuten hoch wirksam bei den meisten Mikrobiomstörungen.
Der fäkale Mikrobiomtransfer aber ist z.Zt. noch eine winzige therapeutische Nische, vorbehalten schwerkranken Patienten, bei denen alle anderen Methoden der Therapie versagten! Beispielweise bei therapieresistenten Colitisfällen oder bei der gefürchteten, aber sehr seltenen Fehlbesiedlung mit dem toxinbildenden Clostridium difficile wird die Methode mit z.T sehr gutem Erfolg einsetzt. Aber hier steht man als Arzt mit dem Rücken an der Wand und wird für den Patienten Nebenwirkungen des Mikrobiomtransfers billigend in Kauf nehmen müssen. Für Reizdarm-Patienten oder gar für frustrierte Übergewichtige ist diese Methode keine Option! Dazu gibt es beim Mikrobiomtransfer noch allzu viele Unbekannte. Noch wissen wir nicht, wie sicher ist beispielweise das Spender-Mikrobiom. Ist es wirklich frei von Infektionserregern?

Liebe Leserin, lieber Leser,

ich möchte an dieser Stelle noch einmal deutlich machen, wie risikoreich eine Mikrobiomtransfer sein kann.
In Fachartikeln wird stets auf die Einzigartigkeit eines jeden Mikrobioms hingewiesen. Nur ca. 160 Bakterienarten haben wir Menschen alle als sog. Stamm-Mikrobiom gemeinsam. Die übrigen mehrere hundert Arten sind sehr individuell zusammengesetzt. Und ganz sicher mogeln sich dort auch immer einige Krankheitskeime drunter, die aber vielleicht nur harmlose 0,0001% des Mikrobioms ausmachen – beim gesunden Spender wohl gemerkt! Was aber, wenn diese Keime beim Empfänger nicht so ein Schattendasein führen müssen – wenn sie sich munter entwickeln können und aus den 0,0001% zehntausendmal so viele werden? Das ist mit der besten Analyse des Spender- und Empfänger-Mikrobioms nicht vorhersehbar! Immerhin können Darmbakterien bekanntlich innerhalb weniger Minuten eine neue Generation bilden (wir benötigen dafür 25 Jahre!).
Die Methode des Mikrobiomtransfers wird vermutlich immer den therapieresistenten schwerkranken Patienten vorbehalten bleiben, bei denen der Leidensdruck größer ist als die Sorge vor den Nebenwirkungen.